Die Welt ist aus den Fugen. Sie gleicht einer ausgehängten Tür.

Sie ist verrückt geworden. Hagen Bretschneider wütet gegen

das Verbrechen der Gleichgültigkeit, gegen die mitunter ins Groteske umschlagende Grausamkeit der Gegenwart.

 

Der Mensch ist Angst. Der Mensch ist Verlassenheit.

Der Mensch ist Verzweiflung. Rücksichtslos geht es runter.

Bis in die tiefsten Niederungen. Jede Geschichte ist eine  weitere quälende Drehung an dieser Spirale des Niedergangs.

 

Es ist die Tortur einer Daumenschraube. Ein dichter, temporeicher Sprachteppich. Ein unbequemer Sitzplatz,

auf dem sich Burroughs, Sartre und Houllebecq                          verstört aneinander klammern. 

 

Willkommen

 

Willkommen, ihr Bodenwellen-Reiter auf den großporigen

Teerstraßen, den Minenfeldern der urbanen Seele

Zu einer Reise in die dunklen Ströme des Herzens

Dies ist das Infarkt-Finale nach dem Spaßterror

Denn hier ist er schließlich angelangt, der kleine Junge,

Der den Höllenhund mit glutroten Augen

Unter seinem Bettchen entdeckt hat

„Wo ist zuhause, Mama?“

Aber keiner kommt hier lebend raus

Denn dies ist das Ende des Lebens

Und der Beginn des Überlebens…

 

 

 

Nico Walser


30 Jahre hat der Vulkan gebrodelt, jetzt ist er ausgebrochen. Ein wortgewaltiger Lyrik-Ausbruch, der dem Leser, der sich auf die 208 Seiten geballter Wort-Eruptionen einlässt, allerlei abverlangt. Konventionelle Leseversuche scheitern angesichts der gnadenlosen Intensität von Bretschneiders Wort- und Bildkaskaden, seiner Lyrikflut, die den Leser geradezu wegschwemmt, in der ihn der Autor zu ertränken droht. Bretschneider knüpft zum einen an Collage-Techniken der Dadaisten an, zum anderen an die von William S. Burroughs entwickelte amerikanische "Cutup"-Technik, die vorhandene Textangebote nach bestimmten Regeln zerreißt, um sie mehr oder weniger zufällig zu neuen Hyper-Texten zusammenzusetzen. So entsteht eine neue Erzählstruktur ohne eine wirkliche, lineare Handlung. Verinnerlichte Automatismen herkömmlicher Textauffassungen des Lesers laufen ins Leere.  

Bei Bretschneider geraten die Leser auf die "Minenfelder der urbanen Seele". Der Springer Lyriker verweigert sich traditionellen Lyrik-Formen, macht sich nicht auf die Suche nach dem perfekten Satz, der kunstvollen Sentenz, der passenden Metapher, sondern überschüttet mit einem expressiv-depressiven Ausbruch seiner Bewusstseinssituation. Es ist das "Infarkt-Finale nach dem Spaßterror", die "Welt des Niemals", in der die Vergangenheit nie aufhört und die Zukunft nie beginnt, in der "alle Wege ins Absurde führen". Am Ende des Wortgewitters "langsames Ausklingen, kein Entrinnen, ein Strudel, ein Sog". Bretschneiders Wahrnehmung ist subjektiv und provozierend, keinesfalls etwas für schwache Gemüter oder bildungsbürgerliche Literaturästheten. Bretschneider gräbt sehr tief und entfacht mit seinen Endzeit-Assoziationen einen lyrischen Flächenbrand, ein alttestamentarisches Inferno - unerbittlich, konsequent, hoffnungslos. Das Buch ist dem Leser zwar sehr zu empfehlen, gleichzeitig muss er aber davor gewarnt werden. Wer sich in die Bretschneidersche Wortwildnis begibt, kann darin auf Nimmerwiedersehen verschwinden.

Cutups stellen  neue Verbindungen zwischen Bildern her, so dass sich unser Vorstellungsvermögen entsprechend erweitert. Durch die zufällige Selektion des Textmaterials wird die gesellschaftliche Vorprägung der Sprache unterlaufen. Dadurch werden andere, ungeahnte Bereiche des Bewusstseins freigelegt. Der Autor tritt durch diese Methode aus seiner psychologischen Identität. Dem Zufall wird die Tür geöffnet, dem Unwahrscheinlichen wird Zutritt zur Gestaltung verschaffen. Das Unteilbare wird geteilt und zerschnitten. Es wird versucht, eine Situation herzustellen, in der man frei von inneren und äußeren Manipulationen operieren kann, eine Situation, die nicht von einem vorherigen Plan bestimmt ist. Ohne Idee, aber mit einer bestimmten Stimmung, in einer bestimmten Schreib- oder Bewusstseinssituation setzt man sich an den Schreibtisch. Der erste Schritt ist die Suche nach einem geeigneten Satz, der im Kopf eine Szene auslöst. Durch das Hinzufügen und Einbinden weiterer Elemente ergibt sich ein weiterführender Handlungsstrang mit oft unerwarteten und unwahrscheinlichen Wendungen. Gemeint ist nicht der Plot einer Geschichte. Gemeint ist nicht "gute" Dichtung, das perfekte Wort in der perfekten Zeile. Es geht um sprachliche Linien, nicht um den Aufbau einer konventionellen, erzählerischen Dramaturgie. Inhaltlich geht es nicht darum, Erlebtes schriftstellerisch aufbereitet auf Papier zu bringen, sondern es geht um die Gestaltung von Räumen, von Bildräumen.....